Katzen gelten oft als eigenwillig, unabhängig und manchmal sogar distanziert. Doch wer mit einer Katze lebt, weiß: Sie können auch einfühlsam, tröstend und zutiefst beruhigend sein.
Während Hunde in der tiergestützten Therapie längst etabliert sind, führen Katzen in diesem Bereich eher ein Schattendasein. Zu Unrecht – denn ihr therapeutisches Potenzial ist größer, als viele denken.
Tiergestützte Therapie bezeichnet den gezielten Einsatz von Tieren im medizinischen, sozialen oder pädagogischen Kontext zur Unterstützung des Wohlbefindens, der Heilung oder der persönlichen Entwicklung von Menschen. Dabei werden Tiere nicht als „Werkzeuge“, sondern als eigenständige Persönlichkeiten wahrgenommen, die durch ihre Anwesenheit eine positive Wirkung entfalten. Während Hunde wegen ihrer trainierbaren, aktiven Art oft im Mittelpunkt stehen, eignen sich Katzen besonders gut für Menschen, die Ruhe, Nähe und Entschleunigung brauchen – und denen eine zu aufdringliche Tierart sogar unangenehm sein könnte.
Katzen haben eine beruhigende Ausstrahlung, die auf viele Menschen tief wirkt. Ihr leises Schnurren, das rhythmisch wie ein kleines Mantra wirkt, hat laut Studien sogar eine messbar positive Wirkung auf den menschlichen Organismus: Es kann den Blutdruck senken, Stress reduzieren, die Ausschüttung von Wohlfühlhormonen wie Oxytocin fördern und sogar Heilungsprozesse bei Knochen und Muskeln positiv beeinflussen.
Katzen fordern nicht – sie bieten ihre Nähe an, wenn sie spüren, dass sie gebraucht wird. Diese Art von Interaktion ist besonders hilfreich bei Menschen mit Angststörungen, Depressionen, Autismus oder Demenz, bei denen Reizüberflutung oder soziale Überforderung vermieden werden soll.
Ein Beispiel: In einem Seniorenheim in Bayern lebt die ehemalige Straßenkatze Mira, die sich fast instinktiv zu Bewohnern setzt, die verwirrt oder traurig wirken. Das Personal berichtet von Momenten, in denen demenzkranke Menschen – die sonst kaum noch sprechen – plötzlich mit Mira flüstern oder sie liebevoll streicheln. Solche Begegnungen schaffen emotionale Brücken, wo Sprache allein oft nicht mehr reicht.
Auch in Einrichtungen für Kinder mit Autismus zeigen sich erstaunliche Effekte: Die ruhige Präsenz einer Katze kann helfen, Spannungen abzubauen und Vertrauen aufzubauen – ohne dass ein Kind sich aktiv sozial verhalten muss. Die Katze urteilt nicht, stellt keine Anforderungen – sie ist einfach da.
Natürlich kann nicht jede Katze zur Therapiekatze werden. Wichtig sind ein ausgeglichener, menschenbezogener Charakter, hohe Reiztoleranz (z. B. gegenüber Geräuschen oder Berührungen), gute Sozialisierung und regelmäßige tierärztliche Betreuung.
Katzen, die zu ängstlich oder territorial sind, eignen sich nicht für diesen Einsatz. Einige Organisationen und Therapeuten arbeiten mit speziell ausgewählten und trainierten Katzen, oft aus dem Tierschutz – gerade diese Tiere scheinen oft ein besonderes Einfühlungsvermögen zu entwickeln.
Ein Grund, warum Katzen seltener eingesetzt werden, liegt in ihrer schwerer kontrollierbaren Natur. Während Hunde „geführt“ werden können, bewegen sich Katzen eigenständig und folgen ihrem eigenen Rhythmus. Das macht ihre therapeutische Arbeit weniger planbar – aber dafür oft umso ehrlicher und intensiver.
Es fehlt zudem an etablierten Ausbildungskonzepten und Zertifizierungen für Therapiekatzen – im Gegensatz zu Therapiebegleithunden. Einige Pioniere setzen sich jedoch bereits dafür ein, das zu ändern.
Katzen sind keine klassischen „Therapeuten“ – sie reden nicht, sie führen nicht aus, sie analysieren nicht. Aber genau das macht sie so wertvoll. Ihr stilles Dasein, ihre sanften Bewegungen und das wohltuende Schnurren wirken auf einer tiefen, emotionalen Ebene.
Vielleicht ist es an der Zeit, die Katze nicht nur als Haustier, sondern auch als stillen Heiler zu sehen – besonders in einer Welt, in der wir oft zu viel reden, zu viel erwarten und zu wenig einfach nur sind.